Zusammenfassung: Vertriebswege zwischen Evolution und Revolution
Bei der Premierenveranstaltung am 10.02.2012 diskutierten 120 Vertriebsleiter, Geschäftsführer und Wissenschaftler, wie Informationstechnologie die Vertriebswege verändert. Hochkarätige Referenten von Danone, Deutsche Bahn, Linde Gabelstapler, Oracle, Roland Berger, T-Systems und Vorwerk schilderten Fallbeispiele. Die Vorträge zeigten, dass sich die Vertriebswege im Industriegütergeschäft eher evolutionär, im Konsumgütergeschäft eher revolutionär verändern.
Bei erklärungsbedürftigen Industrieprodukten bleibt der Faktor Mensch im Kundenkontakt unverzichtbar. Drastische Veränderungen finden eher intern statt: Die Vertriebsmitarbeiter sind einer immer engeren Leistungsmessung und Prioritätensteuerung unterworfen. Beim klassischen Außendienst zeichnet sich eine Polarisierung ab: Wirtschaftlich ist entweder eine große Vertriebs- und Servicemannschaft bei hohen Preisen oder ein zentraler Key-Account-Vertrieb ohne große Flächenpräsenz.
Einfache Konsumgüter wie Bahnfahrkarten oder sogar Lebensmittel eignen sich besser für den Online-Vertrieb. Die klassischen Vertriebskanäle fallen jedoch nicht weg, sondern werden ergänzt. Wenn Unternehmen den Direktvertrieb oder den stationären Vertrieb um Online-Kanäle ergänzen, sollten sie die Mitarbeiter der klassischen Kanäle an den Online-Umsätzen beteiligen. Cloud-Einbindungen von Haushaltsgeräten und Smartphones schaffen neue Geschäftsmodelle. Das Auslesen der Surf-Historie im Web-Browser ermöglicht beängstigend detaillierte Kundenprofile. Wer aber seine Kunden nur „ausspioniert“, ohne ihnen mit den Erkenntnissen einen Zusatznutzen zu bieten, wird schnell am Pranger stehen.
Dr. Ralf Dingeldein, globaler Vertriebsbereichsleiter Neufahrzeuge des Maschinenherstellers Linde, thematisierte in seinem Vortrag die Polarität zwischen der „Alten Schule“ und neuen Vertriebsinitiativen. Als ein weltweites Maschinenbauunternehmen mit Aktivitäten in 168 Ländern verlasse man sich auf den „Verkäufer auf der Straße“, der die komplexen und individualisierten Produkte mit großer Beratungsleistung an die Kunden bringe. „Der individuelle Verkäufer in Kombination mit unserer Marke macht den Unterschied“. Dies gelte insbesondere bei verstärktem Wettbewerb auch in neuen Märkten. Die große Herausforderung ist laut Dingeldein, diesen Vertrieb zu steuern und dabei alle Verkäufer zu erreichen. Eine wichtige Rolle spielen hier Teamwork, enger Austausch und das Coaching zwischen den Vertriebsmitarbeitern.
Auch bei Vorwerk hängt der Vertriebserfolg vor allem an den Verkäufern, die direkt zum Kunden gehen. Der Haustürverkauf im Geschäftsbereich Kobold Deutschland fällt allerdings zunehmend schwerer, sodass Vorwerk nach Aussage von Martin Berger, Executive Vice President Corporate Development und Marketing, einen starken Wandel Vertriebsmodell vollzieht. Erstmals in der mehr als hundertjährigen Firmengeschichte eröffnet das Familienunternehmen in Deutschland eigene Läden und verkauft über das Internet. Die Kundenbearbeitung wechsle von einem rotierenden zu einem Platzvertretersystem. „Unsere Vertreter werden vom Jäger zum Farmer“, beschreibt Berger den Wandel. Die Vertreter partizipieren an Online-Verkäufen in ihrem Gebiet. Die Vertriebskanäle Kobold und Thermomix werden enger verzahnt und tauschen verstärkt Marktforschungsdaten aus.
Unter dem provokanten Titel „Data unser“ beschrieb Lars Luck, Partner und Leiter des Kompetenzzentrums Vertrieb bei Roland Berger, den Einfluss datenbasierter Marktbearbeitung auf den Business-to-Business Vertrieb. Dabei nähere sich der Vertrieb wieder stärker dem Prinzip der Tante-Emma-Läden an: „Märkte sind Gespräche mit Einzelkunden“. Dies werde erst mit neuen Systemen zur kundenzentrierten Marktbeobachtung möglich, „Märkte werden erstmals auf Einzelkundenebene beherrschbar“. Die schnellsten Erfolge könnten im B2B-Bereich erzielt werden, da es sich um eine deutlich geringere Anzahl an Kunden handele mit einem vergleichsweise stabilen und leichter zu prognostizierenden Kundenverhalten. Außerdem passe die datenbasierte Entwicklung zur pragmatischeren, faktenorientierten Vertriebskultur in technischen Märkten.
In eine ähnliche Richtung argumentierte Christian von Stengel in seinem Vortrag über die „Cloud“, also das Bereitstellen von IT-Infrastrukturen über das Internet. Der Senior Director Sales und Head of Western Europe Applications Alliance and Channel bei Oracle Deutschland ist sich sicher: „Die Cloud kommt, da explodiert etwas“. Von Stengel sieht in diesem Bereich Vorteile für den, der sich am schnellsten bewegt: „Wenn Ihr Unternehmen sich noch nicht mit Cloud-Computing beschäftigt, gibt es einen richtigen Zeitpunkt, damit anzufangen: und zwar jetzt“.
Den Fokus auf den Point of Sales lenkte Gerald Hübner, Sales Director Deutschland beim Molkereiprodukte-Hersteller Danone. Die Herausforderung dort sei, „dass Molkereiprodukte im Kühlregal nicht sexy sind“. Das durchaus emotionale Produkt lasse sich schwierig hervorheben in einem sterilen weißen Regal mit 600 anderen Molkereiprodukten. Unter diesen limitierten Voraussetzungen könne nur über die Regalinszenierung selbst Aufmerksamkeit geschaffen werden: „Das Produkt ist der Star“. Eine Danone-Innovation am POS ist das „Black Shelves Konzept“, bei dem die Produkte in schwarzen Regalen und mit LED-Beleuchtung präsentiert werden. Die Zukunft seien Smartphone-Applikationen, die dem Kunden direkt vor dem Regal individuelle Einkaufstipps geben.
Welche Herausforderungen der Vertrieb von komplexen IT-Dienstleistungen birgt, erläuterte Simone Frömming, die bei T-Systems die Leiterin Sales Germany ist. „Um diese Sales Herausforderungen zu managen braucht es einen gesamtheitlichen Ansatz“. Die Vertriebsmitarbeiter müssten die Komfortzone verlassen und sich klar auf die Kundenpotentiale zum Wachstum fokussieren.
Birgit Bohle, Vorsitzende der Geschäftsführung bei der DB Vertrieb GmbH, gab einen Einblick in die Vertriebspraxis bei der Bahn. „Unsere Kunden nutzen immer stärker die Online-Kanäle, schätzen aber weiterhin den persönlichen Service am Schalter“. Daher könnten keine Vertriebskanäle abgeschaltet werden. Für die Bahn liegen die größten Potenziale in der Neukundengewinnung dort, wo der Kunde noch unentschieden zwischen Auto, Flugzeug oder Bahn ist. Daher sucht die Bahn die Zusammenarbeit mit Reiseportalen. Wenn beispielsweise auf Webseiten wie opodo.de eigentlich nach Flügen gesucht werde, komme automatisch auch ein Reiseangebot der Bahn. Damit werden Fahrgäste gewonnen, die vorher gar nicht auf die Idee kamen, dass die Strecke mit dem Zug günstiger und schneller zu bewältigen sei. Zukunftsweisend seien auch neue Kanäle wie „Touch and Travel“, die neue fahrkartenlose Abrechnung ermöglichen.








